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Die Mod

  • e255646
  • 12. Jan. 2023
  • 7 Min. Lesezeit

Aktualisiert: 14. Jan. 2023

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So stand es weiss auf schwarzem Grund auf dem unteren, linken Rand des Bildschirms. Rechts daneben war gross ein metallenes Siegel abgebildet. Es hatte die Form eines Drachen und war mit groben Eingravierungen verziert. Dieses Siegel war das Wappen der kaiserlichen Herrschaft von Tamriel, der fiktionalen Welt von «The Elder Scrolls V». Der schwarze Hintergrund im Bildschirm spiegelte das Sonnenlicht, welches über die Glasfront des Wohnzimmers hereinschien. Kurz blickte ich nach hinten. Der frühe Nachmittag war gerade angebrochen. Im blühenden Garten war es Windstill und der blaue Himmel schien nur leicht bewölkt. Ich war zu faul, um aufzustehen und die Storen herunterzulassen. Ich liess mich noch tiefer in das Sofa sinken und startete das Spiel. Mit einem Knopfdruck verschwand der Titelbildschirm und das Menü öffnete sich:


<Spiel fortsetzen>


<Spielstand laden>


<Neues Spiel>


<Add-Ons>


<Mods>


<Mitwirkende>


Die Option <Mods> (Modifications) interessierte mich dabei am meisten. Mit der Mod-Funktion hatte man Zugriff auf alle möglichen Anpassungen des Spiels, welche von externen Spielern programmiert wurden. So konnte man beispielsweise alle Ingame-Items, welche man sich eigentlich durch Spielen erarbeiten müsste, direkt in unbegrenzter Anzahl erlangen. Es gab Mods, die dich unsterblich machten, Mods, die das Balancing, die Dialoge oder die Grafik verbesserten oder Mods welche komplett neue Inhalte zum Spiel hinzufügten. Eine Mod programmierte das Spiel so um, das der Brunnen in der Hauptstadt von «The Elder Scrolls V» zu einem riesigen Kuchen wurde, welcher dann statt Wasser, Kuchen herausgab. Durch die ganzen verschieden Mods zu stöbern, war meist ein sehr unterhaltender Akt. Es war erstaunlich wie bereichernd Mods für das Spiel waren und was für irrwitzige Ideen den Programmierern einfielen. Auch der Grad an Professionalität mancher Mods war unglaublich in Anbetracht, dass niemand mit seinen Mods Geld verdiente, sondern diese nur aus Liebe zu dem Spiel entwickelte. Als ich nach ungefähr vier Minuten umschauen auf die «Now Trending» Spalte der Mods umschaltete, fiel mir ein mir noch unbekannter Mod ins Auge. Das Bild der Mod-Vorschau zeigte schlicht die schwarze Silhouette einer Spielerfigur mit weissem Hintergrund. Der Mod Name «Your own NPC» erweckte vor allem meine Aufmerksamkeit. NPC stand dabei für Non-playable-character (Nicht spielbarer Charakter), welches alle Figuren im Spiel, welche von dem Programm des Spiels Computer-gesteuert werden, bezeichnet. Vielleicht handelte es sich hier um einen NPC-Editor, mit welchem man NPCs anpassen und zum Spiel hinzufügen konnte. Ich war aufgeregt über die Vorstellung der Möglichkeiten, welche man mit so einer Mod haben könnte. Die Beschreibung des Mods fiel ziemlich schlicht, sogar minimalistisch aus. Nur zwei Spalten mit sieben Wörtern:


Add an NPC of yours.

Have fun.


Na gut, ich wollte diese Mod unbedingt ausprobieren. Ich favorisierte die Mod und klickte auf <Download>. Die Datenmenge belief sich nur auf wenige hundert Megabytes und innerhalb von 20 Sekunden war die Mod heruntergeladen. Mein Mund war wieder etwas trocken. Da das Herunterladen so schnell ging hatte ich keine Zeit, um mir etwas zu trinken zu holen. Ich drückte «B», um zurück zum Startmenü zu kommen und das Spiel fortzusetzen. Wie immer öffnete sich ein Fenster mit der standardisierten Nachricht:


Nach Verlassen der Mods wird das Spiel automatisch neu gestartet.

<Ok>


Als ich, um fortzusetzen, den Knopf drückte, waren meine Hände leicht zittrig und ich spürte, wie sich Schweiss in meinen Handflächen bildete, wie der Controller leicht aus meinen Händen glitt und nach vorne rutschte. Dann öffnete ich ruckartig meine Augen. Es fühlte sich an als würde ich gerade aufwachen. Fragment-artig flogen mir die Bilder von vor ein paar Sekunden durch den Kopf. Hatte ich das alles nur geträumt? Meine Träume waren meist sehr realistisch. Wenn ich im Traum war, dann wusste ich es normalerweise nicht, und so etwas könnte ich mir bestimmt irgendwie als Traumszenario vorstellen. Ich schaute mich ruckartig mit müden Augen um. Das war weder mein Schlafzimmer noch mein Wohnzimmer oder irgendein Zimmer, in welchem ich jemals aufgewacht war. Es war ein Zimmer ohne Verputz, mit rauen Steinwänden, verstärkt mit Holzbalken. Ich bemerkte ausserdem, dass ich bereits stand, ohne dass ich mich aufgerichtet hatte. Hatte ich also im Stehen geschlafen? Wo war ich? Wie viel Zeit war vergangen? Eindeutig zu viele Fragen. Selbst falls ich vorher geträumt hatte, das war kein Traum mehr. Der kleine Raum hatte keinerlei Inneneinrichtung oder irgendetwas anderes als vier Wände, die Decke, Holzträger und den knarzigen Holzboden, auf welchem ich stand. Jedoch, drei Meter vor mir war eine Tür ohne Knauf oder Henkel in die Wand des merkwürdigen Raumes eingelassen. Ich begann mich langsam zu bewegen, Schritt für Schritt. Als ich die Tür mit meiner rechten Hand öffnen wollte spürte ich einen Widerstand. Ich drückte zuerst leicht, dann mit voller Kraft gegen das Holz der Tür.


Im selben Moment als sie nachzugeben schien, war die Tür verschwunden. Ich kippte nach vorne weg und fing mich gerade noch so mit meinem linken Unterarm auf. Der Fall fühlte sich merkwürdig an. Ein kurzen Moment schnappte ich nach Luft. Dann realisierte ich es. Schnee. Ich lag aufgestützt in Schnee. Erst jetzt bemerkte ich, wie kalt es war. Sofort rappelte ich mich auf, um zu sehen, wo verdammt nochmal ich war. Vor mir ersteckten sich kleine skandinavische Holzhütten, ein kleines Dorf, umgeben von einer blauen, flachen Winterlandschaft. Alles drehte sich um mich. Das konnte nicht sein. Ich kannte diesen Ort, alles kam mir vertraut vor. Ja ich kannte diesen Ort nur zu gut. Es war kein realer Ort, doch existierte er, hier und ich genau in ihm. Ich war zu überwältigt, um mich zu fragen was mit mir passiert war. Ich befand mich mitten in der Stadt Dämmerstern. Eine Stadt in Himmelsrand, in welchem sich in «The Elder Scrolls V», meinem Spiel befand. Alle möglichen Erinnerungen kamen auf einmal hoch. Ich war schon oft durch dieses Dorf, vom Spiel bezeichnet Stadt, am Rande der Spielwelt gelaufen, hatte Quests angenommen, das kleine Kultisten-Museum oder das Wirtshaus besucht. Aber diesmal, ein Unwohlsein machte sich in mir breit, dieses Mal war ich wirklich dort. Ich atmete, ich atmete Luft. Ich atmete echte Luft in einem Videospiel ein. Ich fühlte die Kälte an meiner Haut, in meinen Andern. Ich steckte in meinem Körper. Das konnte doch nicht… - Direkt hinter mir befand sich ein rustikales Haus aus Stein, aus dem ich meiner Position zufolge direkt herausgestolpert sein musste. Es ergab Sinn. Wie im Spiel hatte ich das Haus verlassen und hatte durch das Öffnen der Tür den offenen Bereich des Spieles geladen. Da Innenräume als separate Bereiche geladen werden, war ich, ohne es zu merken vom Raum aus in die offene Welt transportiert worden. Ich war in einem Spiel, ich war in Himmelsrand. Einem Land mit uralter Historie, einem Land wessen Lore (Geschichte) ich Inn und auswendig kannte, ohne es jemals als real angesehen zu haben. Ich hatte Stunden in dieser Welt verbracht und nun war ich Teil von ihr. Zu viel. Das war alles zu viel. Ich lehnte mich gegen die massive Steinwand hinter mir. Ich sah mich genau um: Da waren andere, mir vom Aussehen vertraute Leute, die durchs Dorf zogen. Mit ihnen hatte ich unzählige Male vorgeschriebene Dialoge gehalten, ihnen Hilfe angeboten oder sie eingeschüchtert. Waren sie real? Konnte man ihnen reden? Waren sie immer noch NPCs?

Ich hatte nicht viel Zeit darüber nachzudenken, denn ich erblickte eine Figur, die sich anders bewegte, anders gekleidet war. Mir stockte der Atem. Sofort richtete ich mich auf, um genauer hinzusehen. Das war kein NPC. Das war die, nein, das war meine Spielerfigur. Bepackt mit den stärksten Waffen und beschmückt mit den seltensten Stücken stolzierte sie in scheinender Vulkanglas-Rüstung auf mich zu. Ihr, also eigentlich, mein schwarzer, schwerer Bärenpelz-Umhang schleifte im Schnee hinter mir her. «Hey; Hallo!», versuchte ich sofort die Aufmerksamkeit von mir zu erlangen. Mein anderes, fast zwei Meter grosses, ich blieb vor mir stehen und begutachtete mich.


Wenn nicht ich, wer steuerte diese Spielfigur? Wer würde an meine Konsole gehen, «The Elder Scrolls V» starten und sich zu meiner Position bewegen? Andererseits, was waren die Wahrscheinlichkeiten, dass ich in meinem eigen Spiel als nicht als Spielfigur aber in echt existieren würde? Warte, das war es. Wenn wer auch immer meinen Charakter steuerte, also der Spieler war, dann war ich ungesteuert, also nicht spielbar. Ich war ein NPC. Ich war mein eigener NPC. Die Mod. Die Mod hatte das Spiel umprogrammiert und einen neuen NPC zum Spiel hinzugefügt, mich zum Spiel hinzugefügt. War ich real? War ich wirklich ich? Oder gab es nur einen NPCs, der ein Bewusstsein hatte, der dachte ich zu sein? War ich nur mein Bewusstsein, welches als Skript in dem Programm des Spieles existierte, vielleicht auch nur eine Kopie meines Bewusstseins inform von einem Computerprogramm. Hatte die Mod mein Bewusstsein kopiert und das Spiel einprogrammiert? Ich musste hier raus, raus aus dem Spiel. Ich musste irgendetwas tun, ich musste versuchen, mit mir selbst, der Spielerfigur, zu kommunizieren: «Hallo, kannst du mich verstehen?», «Ich bin du!», «Ich bin kein NPC!»


Ich bin kein NPC

Ich bin real, ich bin nicht Teil des Spiels

Es ist die Mod

Du musst die Mod deinstallieren


Die Textfelder tauchten im Sekunden Takt auf dem Bildschirm auf. Leider nicht vertont. Das war seltsam. Ganz abgesehen davon, dass es keine Antwortmöglichkeiten gab und der Text nicht ins Spiel passte, war der Monolog auf Deutsch. Die Mod war englisch und sollte keinen deutschen Dialog Optionen haben. Der NPC redete von der Mod. Na klar, die Mod die ich installiert hatte, hatte ja etwas mit neuen NPCs zu tun. Leider hatte ich immer noch nicht herausgefunden, wie man seine eigenen NPCs hinzufügen konnte. Dieser NPC schien von dieser Mod zu kommen. Seine Kleidung und Artstyle passten nicht wirklich ins Spiel. Irgendwie war mir unwohl bei seinem Anblick. Inzwischen war der Abend angebrochen. Ich sah mich im Wohnzimmer um. Jemand hatte inzwischen Zeit des Esszimmerlicht angemacht. Mods hatten öfter die Angewohnheit Bugs (Fehler) aufzuweisen. Dieser NPC schien nicht wirklich zu funktionieren. Ich stand auf, schloss die Storen und füllte mir ein Glas mit Leitungswasser. Ich öffnete das Ingame Menu und drückte auf <Spiel speichern> gefolgt auf <Spiel verlassen>. Auf dem nun schwarzen Bildschirm formte sich erneut das vertraute Siegel in Drachenform. Ich erkannte meine eigene Reflektion auf dem schwarzen Bildschirm. «Was ein unproduktives Wochenende».



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